Es war einmal... Der Zauber des Vorlesens und Erzählens
Den Zauber des Vorlesens und Geschichtenerzählens dürften die meisten noch aus Kindheitstagen kennen. Doch es gibt professionelle Vorleser und Erzähler, die diese Form der Sprachkunst auch Erwachsenen (wieder) zugänglich machen. Aber wo genau liegt eigentlich der Unterschied?
Sie erinnern sich bestimmt noch an das wunderbare Gefühl, sich als Kind Texte vorlesen zu lassen? Hatten Ihre liebsten Kinderbücher zum Vorlesen immer parat? Oder liebten es, wenn Ihre Oma Geschichten erzählte? Kein Wunder, denn erzählen gehört zu den ureigensten sozialen Bedürfnissen des Menschen, die nicht nur ein Zeichen von Sicherheit sind, sondern vor allem soziale Bindungen pflegen. Mit Erfindung des Buchdrucks wurde auch das Vorlesen immer wichtiger – beide Sprachformen verloren jedoch mit Einführung digitaler Unterhaltung rapide an Beliebtheit. Dabei ist es wohltuend und überaus entspannend, durch einen Live-Hörgenuss in die Anderswelt abzutauchen, erklärt Kerstin Tümmel, ihreszeichens Erzählkünstlerin. Sie gibt Einblicke in die künstlerischen Bereiche des Erzählens und Vorlesens, in die Welt der 'Sprachkunst'.
Erzählen und Vorlesen: die Unterschiede
Dass es zwischen diesen beiden Formen große Unterschiede gibt und Erzähler oftmals sogar verstimmt sind, als Vorleser bezeichnet zu werden, ist vielen allerdings gar nicht klar. "Beide Sparten sind eine hohe Kunst und doch sind sie meilenweit voneinander entfernt", erklärt Tümmel. Und weiter:
"Der Erzähler benötigt für seinen Vortrag kein Buch. Wie ein Schauspieler hat er den Text im Kopf. Allerdings muss er die Rollen alleine spielen – bis eine Geschichte bühnenreif ist, das kann Monate dauern. Die Figuren bekommen eigene Stimmen, Mimik und Gestik. Der Erzähler benötigt eine hohe Konzentration, er verfügt während des Vortrags über kein Buch."
Dabei sei auch beim Publikum ein erheblicher Unterschied zu merken: Erzähler schafften es leichter, den Kontakt zum Publikum aufrecht zu erhalten, da sie Augenkontakt halten könnten und nicht aus einem Buch ablesen müssten. Trotzdem besteht zwischen den beiden Sparten keine Konkurrenz, denn Erzähler wollen keine Vorleser ersetzen, so Tümmel. Es handle sich schlicht um eine völlig andere Sparte der Sprachkunst: Vorleser haben dabei den Vorteil, dass sie nicht wie Erzähler alles auswendig lernen müssten und somit wesentlich flexibler seien. So ist es vor allem Vorlesern leichter möglich, auch auf sehr komplexe Texte zurückzugreifen, die zum Beispiel bei Erwachsenenlesungen verlangt werden.
Keine Spannung ohne die richtige Technik
Genauso wie ihre erzählenden Kollegen setzen Vorleser dabei auf eine Mischung aus darstellendem Spiel und Technik: Besonders wichtig sind dabei das Lesetempo, Stimmvolumen und -färbung, Artikulation, Tempo und die Atmung. Auch das Einbeziehen der Atmosphäre im Raum stellt einen wichtigen Punkt dar – vor allem, wenn vor kleinen Gästen gelesen wird, die oftmals Zwischenfragen haben und bei denen der Leser es schaffen muss, diese in den Vortrag mit einzubauen.
Ich glaube, man muss selbst ein großes Kind sein, wenn man für Kinder erzählen will
Ob man als Erzähler oder Vorleser vor einem jungen oder eher älteren Publikum spricht, macht dabei keinen Unterschied – alle Altersgruppen lassen sich gerne gebannt in Phantasiewelten entführen. Wichtig ist dabei nur die unterschiedliche Komplexität der Stücke, die vorgetragen werden sollen. Und: Wenn man vor Kindern performt, komme es jedoch noch mehr als bei Erwachsenen darauf an, sich in diese hineinversetzen zu können und auf diese einzugehen, weiß Kerstin Tümmel.
Doch egal ob Vorleser oder Erzähler, wichtig ist dabei nur eines: je lebendiger eine Geschichte vorgetragen wird, umso gebannter wird das Publikum sein – und hinterher umso ent-spannter, denn eine Reise in eine völlig andere Welt wirkt so entspannend wie eine Meditation. Und das, ohne sich anzustrengen. Klingt wunderbar, oder? Zeit für eine Geschichte!