Künstler der Woche

Interview mit Leinado

Künstler der Woche: Leinado

Als Leinado mit 22 Jahren das erste Mal jongliert, steht er vor dem Nichts - kein Geld, keine Arbeit, nur ein abgebrochenes Soziologiestudium. Er beschließt sein Leben umzukrempeln und tourt nur mit Fahrrad und etwas Equipment ausgerüstet über ein halbes Jahr als Straßenjongleur durch Europa. Was in dieser Zeit geschah, wie es ist nur "aus dem Hut" zu leben und wie man seine Berufung findet, erzählt uns Leinado im Interview.

Hallo Leinado. Deine Leidenschaft fürs Jonglieren hast du erst mit 22 Jahren entdeckt. Wie kam es dazu?
Ich hatte mein Soziologiestudium in Jena erfolgreich abgebrochen, war zurück in meinen abgelegenen Heimatort Gräfenthal gezogen und saß im Oktober 2010 allein im kalten Haus. Kein Auto, keine Arbeit, kein Internet und nur ein paar hundert Euro Erspartes - das war's. Vom Jonglieren hatte ich keine Ahnung. Weder hatte ich einen Jongleur getroffen, noch live gesehen. Aber ich war schon als Kind von diversen (Ball-)Sportarten begeistert. Es lagen zwei Tennisbälle herum und ich hatte die Eingebung mit diesen "Jonglieren" zu müssen, ohne zu wissen, wie das geht. Ich fand einen dritten und konnte nach einer Woche den 3-Ball-Shower jonglieren. Die Kälte trug ihren Teil zum Training bei - kein Witz: "Not macht erfinderisch". Ich wurde besessen von diesen Übungen und nähte mir eigene Bälle. Im Dezember traf ich den ersten Jongleur, der mir Tricks zeigte - die Inspiration war unbeschreiblich. Er sagte über meine in Handarbeit gefertigten Bälle wortwörtlich: "Die Bälle sind Scheiße, sie sind zu leicht." Das war hart, aber ehrlich, er hatte recht. Ab Januar hatte ich Internet und konnte Profi-Material und Bücher bestellen. Nach neun Monaten Selbstausbildung konnte ich fünf Bälle Jonglieren und nach eineinhalb Jahren sicher vor Publikum aufführen. Viele Profis trauen sich das im ganzen Leben nicht zu.
Kurz darauf warst du das erste Mal als radfahrender Jongleur in Europa unterwegs. Kannst du uns etwas über diese Reise erzählen und was waren deine Beweggründe?
Diese Winter-Fahrradreise von Oktober 2012 bis April 2013 war meine raue Ausbildung zum Straßenjongleur. Das mag verrückt klingen, aber: ich wollte wissen wie es ist, auf der Straße zu (über-)leben. Ich wollte mich den schwierigsten Situationen stellen müssen und hatte nur 50€ in der Tasche und 200€ auf dem Konto, die ich nicht anrühren wollte. Das war mein Ansporn "aus dem Hut" zu leben. Ich fuhr durch Deutschland, Frankreich, Spanien und Portugal - 6000 km in 58 Etappen. Mein Ziel war die Sonne und Sevilla - laut Wetterstatistik die wärmste Stadt Europas (ich hatte trotzdem einmal -7,2° im spanischen Hinterland) - ich fuhr sogar bis Lissabon und zurück. Als Alleinreisender war ich eher Gefahren ausgesetzt, auch davon kann ich berichten. Es war hart aber schön. Über die zwei Fahrradreisen als Jongleur (etwas Besonderes) kann ich soviel erzählen... ein Buch-und Hörbuchprojekt sind in Arbeit. Ich habe schon hunderte A4-Seiten abgetippt und werde diese zunächst in Eigenproduktion veröffentlichen. Es gab bereits drei Artikel in einem Lokalmagazin. Verleger und Interessenten dürfen sich gerne bei mir melden.
Was war das beeindruckendste Erlebnis auf deinen Radtouren?
Die Bekanntschaft mit Menschen aus aller Welt und die Landschaften. Ich habe unterwegs mehrere Weltklasse-Jongleure getroffen und deren Worte aufgesogen und umgesetzt. Die Hilfbereitschaft, Gastfreundschaft, Herzlichkeit und Wertschätzung der Menschen mir, meiner Kunst und Reise gegenüber waren sehr bewegend. Landschaftlich unvergesslich waren die vielfältigen Weiten Spaniens. Sie wurden ein Teil von mir und haben sich in meine Erinnerung gebrannt, da ich sie und das Wetter aus eigener Kraft durchquerte (sogar einmal im Orkan im Olivenbaum-Niemandsland-Lehmboden-Gebirge - Zelten unmöglich).
Du bezeichnest dich als Comedy-Jongleur – wie kann man sich einen Auftritt von dir vorstellen?
Als blutiger Anfänger musste ich mein Publikum zusammentrommeln, das war nicht leicht, aber macht flexibel. Heute bleiben die Leute schon stehen, wenn ich drei Keulen jongliere, überall. Ich lebe als Athlet mit voller Energie und Kreativität für meine Kunst und das Training. Als Ergebnis möchte ich den Menschen beste und außergewöhnliche Unterhaltung bieten. "Das war 'mal 'was anderes..." und "Haben Sie Sport studiert?", erst gestern wieder gehört - das macht mich stolz. Die Darbietung der schwierigen Tricks auf stylische, "nonchalante" Weise machen die Show zum einmaligen Erlebnis. Das können auch Blicke, Gesten oder Moves sein. Die Leute amüsieren sich manchmal köstlich über ungeplante Kleinigkeiten. Ich erzähle keine Witze, aber habe ein paar flotte Sprüche und kann sehr gut auf das Publikum einsteigen... oder ins Publikum steigen - das wäre schon der erste Spaß. Und wenn ich als Finale eine Bierbank auf dem Kinn balanciere (mein Originaltrick), ist das verrückt genug - manche Zuschauer quieken sogar!
Ist bei einem Auftritt auch mal etwas schiefgegangen?
Na klar. Fehler passieren, etwas fällt, ich falle, die Technik hakt, betrunkene Veranstalter bei der Ankunft... Es gab schon ein paar Stürze vom Einrad oder Rola-Bola, aber besonders spektakulär war: Ich habe mir gleich zu Beginn einer Show bei einem Superman-Liegestütz (Bild) die Schulter ausgekugelt und die Lippe blutig geschlagen. Der Arm war plötzlich irgendwie auf dem Rücken und ich lag erschrocken auf dem Bauch. Ich schaute nach rechts ins Publikum und nach vorne zum Eventmanager. Innerhalb einer Sekunde entschied ich zwischen 'Sanitäter rufen' und 'Weitermachen'. Ich fasste mir liegend mit der rechten Hand auf die linke Brust und mit einer instinktiven, kraftvollen, ruckartigen Bewegung brachte ich den linken Arm zurück ins Gelenk. Das Publikum merkte, glaube ich, nicht wirklich, was los war. Ich stand auf und jonglierte leicht unter Schock stehend, schwitzend, aber innerlich triumphierend die nächste Nummer: Fünf Bälle. Das passierte in der ersten von drei Shows an diesem Tag, die ich alle absolvierte. Ich stemmte und balancierte sogar noch die Bierbank auf dem Kinn. Aber Handstand und Fliegestütze ließ ich an dem Tag und für die nächsten Monate aus. Nach zwei Wochen Pause begann ich wieder vorsichtig und systematisch Liegestütze zu trainieren und bin heute noch fitter als damals.
Dein Leben hat einen anderen Weg eingeschlagen, als vielleicht ursprünglich gedacht – hast du einen Rat für Menschen, die vor einer ähnlich großen Entscheidung stehen?
Das ist tatsächlich so, denn mein Kindheitstraum war es, Pilot zu werden, aber ich hatte kein Sitzfleisch, die Schulbank zu drücken. Leinado ist mittlerweile eine kleine Marke und trotzdem untrennbar von Daniel Stahl. Ich spiele niemandem etwas vor, ich trage im wahrsten Sinne des Wortes keine Maske. Ich wusste bis 22 gar nicht was ein Profi-Jongleur ist, bis ich den Entschluss fasste, einer zu werden. Wenn du etwas verändern oder selbstgesteckte Ziele erreichen willst, dann verabschiede dich von Ausreden und Ablenkungen des Alltags. Handysucht und "schwierige Vergangenheit" sind häufige "Gründe". Wenn du die Idee, die Vision, die nötige Fantasie schon im Kopf hast und eventuell noch ein wenig Erfahrung mitbringst, dann erreichst du dein langfristiges Ziel. Wichtig sind Interesse und Begeisterung. Ich nenne das gerne auch Tunnelblick oder Fokus. Mit kleinen Erfolgen kommt die Motivation - sei geduldig und bleib' dran! Folge deinem Gefühl. Wenn dich etwas beengt oder sich nicht gut anfühlt, dann verabschiede dich davon. Wenn sich eine Tür schließt öffnen sich fünf neue Türen, sage ich immer. Für mich standen Freizeit und Freiheit immer vor Geld. Mit einem üblichen 5-Tage, 8-Stunden-Job (Respekt davor!) wäre ich nie Profi geworden. Ich musste mich in eine Ungewissheit begeben. Die Synergie aus Körper und Geist im Raum und in Interaktion mit Mensch und Materie, das bedeutet für mich Leben, (m)ein Lebensstil.
Kannst du uns zum Schluss noch dein schwerstes Kunststück verraten?

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