Natalie liest Adaptionen bekannter Märchen, Andreas untermalt die Geschichte mit Instrumenten und Effekten - so entstehen die Live-Hörspiele der Märchenlampe, die mit viel Spannung und Witz in eine Welt voller Kreativität entführen. Dabei stehen nicht nur Kinder im Mittelpunkt. Wenn sich der sprudelnde Wasserbecher beim Horror-Märchen in ein Blutbad verwandelt, läuft auch Erwachsenen ein Schauer über den Rücken. Wie Natalie und Andreas ein Live-Hörspiel konzipieren, welche wichtige Rolle Musik dabei spielt und wie ein Luftballon eine Gruselgeschichte unterstützen kann, verraten unsere Künstler der Woche im Interview.
Hallo Natalie und Andreas. Wie geht es euch?
Natalie: Sehr gut! Wie alle Künstler sind wir froh, dass wir dieses Jahr endlich wieder überall hinfahren und auftreten dürfen.
Andreas: Wir sind bei den Auftritten dem Publikum sehr nahe und sehen die Freude in den Augen. Dann noch den Applaus zu genießen, ist Balsam für die Künstlerseele!
Ihr macht gemeinsam Live-Hörspiele - wie kam es zur Gründung der Märchenlampe?
Natalie: Andreas hat Jazz und Populärmusik studiert, ich Theaterwissenschaften. Wir hatten vorher schon Bühnenerfahrungen mit Feuershows (Natalie) bzw. Auftritten mit Bands und als Musiker beim Improtheater (Andreas). Da wir beide gerne Hörspiele mögen, kamen wir auf die Idee, das live aufzuführen. Märchen sind es geworden, weil sie wertvolles Kulturgut sind und man von den meisten kostenlos eine Hörspielfassung verfassen und aufführen kann. Das hat den Einstieg erleichtert.
Andreas: Das war im Jahr 2014 - seitdem haben wir unser Bühnenbild mehrmals verändert und immer wieder am Equipment gefeilt. Mittlerweile haben wir zum Beispiel neben unserem normalen Bühnensetting noch einen Mini-Aufbau, der sogar in ein Wohn- bzw. Kinderzimmer passt. Das kam mit der Zeit und der Bühnenerfahrung. Das Repertoire ist natürlich auch mit den Jahren gewachsen. Mittlerweile bieten wir auch Horror- und Gruselhörspiele an, die sich ausschließlich an Erwachsene richten.
Wie entsteht ein Live-Hörspiel bei euch?
Natalie: Ich lese mir Märchen und Sagen aus unterschiedlichen Sammlungen und Ländern durch und wenn mir etwas gefällt, erstelle ich eine erste, grobe Hörspielfassung daraus. Dabei lege ich das Hauptaugenmerk natürlich darauf, Situationen zu finden und zu betonen, die man gut mit Geräuschen verdeutlichen kann. Ich kenne unser Geräusch-Arsenal gut und habe alle möglichen Gegenstände und Instrumente schon beim Aufschreiben im Hinterkopf.
Andreas: Danach nehme ich den entstandenen Text und überlege mir die musikalische Grundstimmung. Das sind oft gefühlsmäßig eindeutige Skalen und Motive wie in der klassischen Musik, häufig fallen mir auch direkt Instrumente ein, die zu den Figuren und Situation passen. Dann verarbeite ich die Anregungen zu den Geräuschen und überlege, was wir sowieso schon dabei haben oder was wir zusätzlich an neuen Geräuschobjekten brauchen. Bei den ersten Proben kommt immer noch etwas hinzu oder weg. Irgendwann fühlt sich das Hörspiel fertig an und darf mit uns auf die Bühne.
An welchem Märchen arbeitet ihr aktuell?
Natalie: Gerade bereiten wir uns wieder auf die Märchen vor, die wir nur in der Weihnachtszeit aufführen. Außerdem überarbeite ich noch einen Text, den wir für einen unserer ersten Auftritte verfasst und dann nicht mehr aufgeführt haben. Obwohl es um ein sehr schönes Märchen geht, nämlich "Das Feuerzeug" von Hans Christian Andersen, ist die Hörspielfassung irgendwie unrund und muss neu konzipiert werden, bevor wir sie wieder spielen können. Da unsere Auftritte aus mehreren Märchen mit einer Dauer zwischen 5 und 25 Minuten bestehen, spielen wir immer auch Märchen, bei denen wir wissen, dass sie seit Jahren gut ankommen, wie z. B. "Vom Fischer und seiner Frau". Dazwischen kann man ein neues Hörspiel einbauen und die Reaktionen des Publikums beobachten.
Welche Rolle nimmt Musik in euren Hörspielen ein?
Natalie: Eine große!
Andreas: Ich behandle ein Hörspiel in der Planung wie eine Filmmusik oder eine Wagner Symphonie. Da gibt es Motive und Instrumente, die Momente oder Personen in ihrem Charakter unterstreichen. Ich bin dabei Songwriter, Komponist und Arrangeur. Als Multi-Instrumentalist lasse ich dann alle Musik live mit Instrumenten und Looper entstehen. Auch das Publikum darf am Sounddesign und den Loops mitwirken.
Ihr bietet auch Märchen für erwachsenes Publikum – wie sehen "erwachsene" Märchen aus?
Andreas: Historisch wurden Märchen für die gesamte Großfamilie erzählt, die abends am Feuer sitzt. Das holt die unterschiedlichen Altersklassen ab. Ich nehme immer gerne "Die Simpsons" als Vergleich für ein Kinderprogramm, welches auch Erwachsene auf einer ganz anderen Ebene flasht.
Natalie: Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass unser meistgespieltes Programm "Grimms & Co." häufig von Erwachsenen gebucht wird und z.B. auf Geburtstagen mit erwachsenen Gästen läuft. Da wir viel mit Musik, Humor und Popkultur-Zitaten arbeiten, sind alle unsere Hörspiele sowohl für Kinder, als auch für Erwachsene unterhaltsam. Erwachsene sind häufig besonders beeindruckt davon, was Andreas alles gleichzeitig macht! Unser Programm extra für Erwachsene enthält insbesondere brutale, sehr gruselige Geschichten aus dem Horror-Genre. Eine davon, "Fitchers Vogel", stammt ebenfalls aus der Sammlung der Gebrüder Grimm, ist aber viel zu blutig, um Kindern vorgelesen zu werden. Da fungiert unser Wasserbecher, mit dem Andreas sonst das Blubbern von Brunnen, Flüssen oder Kochtöpfen nachmacht, mal eben als Becken voller Blut, in dem Knochen und Leichenteile herumschwimmen.
Was begeistert euch an alten wie neuen Märchen?
Natalie: Der Mix aus guten Geschichten mit absolut zeitloser Botschaft und solchen, wie dem gerade angesprochenen Horror-Märchen. Das wurde früher Kindern vorgelesen, um ihnen mithilfe von Angstmacherei etwas beizubringen. Das verwenden wir natürlich heute in einem komplett anderen Kontext. Bei uns gibt es auch keine Geschichten, in denen Kinder im Wald ausgesetzt werden oder ähnliches. Aber man kann an diesen Märchen ablesen, was damals für wichtig und angemessen gehalten wurde. Und natürlich fügen wir jedem Werk noch unsere eigene Lesart hinzu.